Bergsteigen in Georgien Teil 2 - Mestia
27. August - Mestia
Die Anreise von Tiblis nach Mestia ist mit acht Stunden tagesfüllend und erfolgt entweder mit Marschrutka 10 GEL/Person oder via Nachtzug nach Zugdidi und von hier aus in weiteren zweieinhalb Stunden nach Mestia.
Wenn sich die Anzahl der Wehrtürme mehrt, kann Mestia nicht mehr weit sein. In einer markanten Rechtskehre wird bei Doli der gleichnamige Fluss überquert. Bei freier Sicht können hier erste Blicke auf die Zwillingsgipfel des Ushba, Ushba Süd 4.710 m und den zwei Meter niedrigeren Ushba Nord, erhascht werden. Davor steht – am rechten Rand des Gula Gletscher – eine Kanzel aus Fels, die Südseitig verschiedenste Kletterrouten bietet, der Gulba 3.725 m. Das Ushba-Massiv mit seinem unverkennbaren Gipfelaufbau und seiner magischen Anziehung für Naturliebhaber und im Besonderen für Alpinisten, ist ein Ziel von oberster Güte in dieser Region. Selbst die leichtesten Anstiege sind technisch und logistisch schwierige Unternehmungen und es bedarf stabilem Wetter, guten Bedingungen in Eis und Fels sowie einer gehörigen Portion Mut, um dem Ushba – „dem Schrecklichen“, die Stirn bieten zu können.
In Mestia angekommen, finden sich in der touristisch gut erschlossenen Trekker- und Bergsteigerstadt im Oberen Swanetien viele Unterkünfte. Die Preise beginnen bei 20 GEL.
28. August – Informationsbeschaffung
Vor Ort gestaltet sich die Beschaffung von Informationen zu aktuellen Routenbedingungen als schwierig. Wir hatten den Eindruck, dass außer uns keine anderen Bergsteiger in Mestia sind. Die Touristen Information stellt zwar eine gut gestaltete Broschüre, eine Übersicht verschiedener Ziele klassischen Alpinismus in Georgien in englischer Sprache, zur Verfügung, ist aber mehr auf Trekker als auf Bergsteiger eingestellt. Nur von einer Besteigung des Akklimatisationsberges Laila 4.009 m, wurde uns von allen unseren Vorhaben abgeraten. Wer Bergsteigen möchte, der sollte genug Erfahrung mitbringen, um Bedingungen selbst am Berg beurteilen zu können. Es ist gut möglich die einzige Seilschaft, besonders auf anspruchsvolleren Routen, zu sein und auf tiefgreifende Informationen sind, ohne besondere Kontakte, kein Verlass. Wir konnten mit zwei georgischen Bergführern telefonieren, von denen einer gutes Englisch sprach. In jedem Fall sehr aufschlussreich, von: „der Berg ist diese Saison nicht möglich“ über „in eine Gletscherspalte abseilen und auf der anderen Seite wieder hoch klettern“ bis „kein Problem“ war bei den Tourenverhältnissen am Tetnuldi alles dabei.
Ohne zu wissen, was uns erwartet, packen wir mit gemischten Gefühlen für einen Versuch des Tetnuldi 4.858 m. Der Berg ist von Mestia gut zu sehen. In östlicher Blickrichtung das erste Massiv mit einer perfekten Pyramide als Gipfelaufbau.
29. August – von Mestia zum Camp 1
Nach einem ausgedehnten Frühstück, wie es bei uns –wenn nicht gerade am Berg – oft der Fall ist, können wir der Ungeduld unseres Fahrers, Herrn Bärenjäger und Hausherren, gerade noch gerecht werden und um 13.15 Uhr sitzen wir schlussendlich im Geländewagen Richtung Aidishi, Kosten 130 GEL. Leider, vor lauter Stress, mit nicht aufgefüllten Wasserflaschen. Wir folgen einem Pfad durch das wie ausgestorben wirkende Aidishi. Später erfahren wir, dass ein nicht weit zurückliegendes Lawinenunglück dafür Verantwortung trägt. Laut Broschüre soll etwas östlich unweit des Dorfes ein Weg Richtung Norden zum Camp 1 3.010 m führen. Oh Mann, was für eine Sch.... Völlig weglos, mitten durch Gestrüpp und fette Spinnweben zerstörend, hampeln wir durch teilweise brusthohes Gras und Dickicht. Ist das Tragen eines schweren Rucksackes ins Basislager ohnehin nicht das spaßigste und ruhmreichste am Bergsteigen, so wird es in derartigen Gelände ein Horrortrip. Trotz des nervigen und mühseligen Unterfangens halten wir durch und kämpfen uns Off-road bergan, bis das Gras niedriger und der Hang flacher wird. Zerschunden und am ganzen Körper von durch Grassamen verursachten Juckreiz geplagt, kommen wir spät 19.30 Uhr, im letzten Licht, an einem möglichen Lagerplatz an.
Meine Kehle liegt wie ein völlig ausgewrungenes Wäschestück brach, sie schreit mit lautem unüberhörbaren Wehklagen nach Wasser. Das Bachwasser kristallklar, aber offensichtlich von Huftieren verunreinigt, wird abgekocht und verschafft endlich, nach den ganzen Querelen des heißen Tagesgangs, eine verbrannte Zunge. Das herrliche Lager ist flach zwischen zwei plätschernden Bachläufen gelegen. Während des Abendessens gibt das zähe Pech der hereinbrechenden Nacht ein Stern nach dem anderen und schließlich die Milchstraße in ihrer vollkommenen Schönheit preis. In aller Stille und mit der Erschöpfung des vollbrachten Tages in unseren Adern pulsierend, betrachten wir fasziniert das Naturschauspiel, ehe uns die Kälte in unsere Schlafsäcke bittet.
30. August – von Camp 1 zum Camp 2
Erst als die wärmende Sonne aufgegangen ist, kriechen wir aus unseren Zelten. Routiniert brechen wir das Lager ab und beginnen den Aufstieg. Der freundliche Tag lässt den bald in Sicht kommenden Tetnuldi Gipfel perlweiß erstrahlen. Über große und kleine Felsblöcke bewältigen wir Moränengelände und steigen steil zu einem Joch hinauf. Von hier führt eine Felsrinne, der wir in leichter Kletterei folgen, zu den ersten Zeltplätzen. Nun gilt es, rechts wenige Meter bergab in eine zweite Rinne zu steigen, der man bis zum Rand des Gletschers und den oberen Zeltplätzen folgt.
Wir stärken uns, erkunden den ersten Wegabschnitt, den wir am Folgetag im Dunkeln zurücklegen werden, und gehen bald schlafen.
31. August – Tetnuldi Gipfeltag
Wecker 3:45 Uhr, Start erst um 5.30 Uhr. Irgendwie hat alles ziemlich lange gedauert und verspätet gehen wir über den bereits erkundeten Teilabschnitt zum ersten Steilaufschwung. Bis dahin lösen sich drei von acht Steigeisen. Es scheint heute nicht so richtig zu laufen. Im Steilaufschwung fällt der zerklüftete Gletscher zu unserer linken jäh ab. Wir gelangen über eine große Spalte in den flacheren Bereich der Traverse. Bis dahin ist es hart und wir steigen langsam und umsichtig. Ein weiterer Aufschwung führt uns zu der im Vorfeld heiß diskutierten Stelle. Wir umgehen eine große Spalte in spektakulärer und wilder Szenerie linker Hand und erreichen kurz darauf den Südwest-Grat.
Eine Felsrippe bringt uns zum letzten Abschnitt des Anstieges, dem eisig harten Gipfelgrat. Der Wind bläst teilweise mit enormer Kraft und auch hier kommen wir langsamer als gedacht voran, zumal das Wetter bereits trüb wird. Mehrere steile Passagen, bei denen der Berg auf beiden Seiten des Grates in steile Flanken abbricht, überwindend, erklimmen wir konzentriert, aber atmend wie ein Schaufelraddampfer, den Gipfel.
Kurze Wolkenfenster geben den Rundblick frei, Umarmungen und Beglückwünschungen, dann zwingt uns der eisige Wind und das umschlagende Wetter zum Abstieg. Fast am Felsgrat angekommen setzt starker Schneefall ein und der Berg stellt unser Können und vor allem unsere Orientierung noch einmal auf die Probe. Den Grat am kurzen Seil gesichert, wissen wir, dass die Crux des Abstieges, die Umgehung der Spalte, noch vor uns liegt. Diese Stelle muss zwangsweise genau gefunden werden. Am Gletscher sind unsere Spuren vom Wind und vom Neuschnee zugedeckt. In diesen Situationen zahlt sich ein GPS-Gerät als Back-Up ungemein aus. Unser Orientierungssinn führt uns mit Technikunterstützung hinab zur Schlüsselstelle. Nach und nach gelangen wir unterhalb des Schlechtwetters und die Spuren des Aufstieges werden deutlicher.
Ukrainer haben im unteren Teil der Aufstiegsroute ihre Zelte aufgeschlagen. Freudig begrüßen sie uns mit Tee und Plätzchen, eine Wohltat. Gestärkt geht es über den unteren Teil des Gletschers zurück zum Camp. Regen und Schnee, den ganzen restlichen Tag, einfach ätzend, zumindest für die Köche. Lesend und schlafend verbringen wir die Zeit in unseren warmen Schlafsäcken.
1. September – von Camp 2 nach Mestia
Das grausige Wetter des Vortages ist abgeklungen, die Großwetterlage hat sich aber geändert – Wolken im Überfluss. Die Sonne wird immer wieder verdeckt und es ist schneidend kalt. Noch hab nass verstauen wir trotzdem unser Equipment und machen uns an den Abstieg. Wir steigen von Camp 1 nicht nach Aidishi ab, sondern gehen Richtung Westen einem Pfad folgend. Hätten wir das gewusst! Es gibt von der Mittelstation des entstehenden Tetnuldi Skigebietes einen leichten Zugang zu Camp 1. In einer Dauerquerung kommt man zu einer Fahrstraße. Ein wartender Fahrer, der zuvor andere Bergsteiger hier abgeladen hat, nimmt uns für 60 GEL mit nach Mestia.
In den folgenden Ruhetagen hatten wir Whats-App Kontakt mit der russischen Organisation Alexclimb, die gerade am Ushba unterwegs waren. Ushba North, das wäre es. Die Bedingungen anscheinend passabel, sofern sich das von der Aussage eines russischen Bergsteigers, der meint: „Etwas hart uns eisig.“, überhaupt ableiten lässt. Doch leider bleibt das Wetter auf unabsehbare Zeit schlecht.
Ushba, wir kommen wieder!
· http://www.stadler-markus.de/expeditionen/georgien/swanetien.html
· http://www.alexclimb.com/?lang=eng
· http://mountains.tos.ru/ushba.htm
· http://www.summitpost.org/tetnuld/652335
Karte: Georgian Caucasus comfort! Map- ISBN: 978-83-61155-35-5