Bergsteigen in Georgien Teil 1 - Kazbek

17. August – Erstkontakt  in Tiflis

Wir sind sicher um 4.30 Uhr in Tiflis (Tblisi) gelandet. Trotz dem Umstand, dass es Nacht ist, ist es heiß. Verschlafen und müde vom Flug verlassen wir den Flughafen auf der Suche nach unserem Abholservice. Wie zähes Baumharz klebt uns die Meute an Taxifahrern auf dem Flughafenparkplatz in den Ohren – wenigstens das ist vertraut. Nach verspäteter Ankunft des Fahrers werden unsere Tetris Künste aufs äußerste auf die Probe gestellt. Wie soll unser ganzes Equipment (4 Kletterrucksäcke 45 l + 4 Dufflebags 60 l) mit uns (4 Personen) und den Fahrer in die kleine Karre passen? Irgendwie bekommen wir es dann doch gebacken und wie Ölsardinen zur Unbeweglichkeit in das Auto eingekeilt geht’s unter Erlahmung der Extremitäten zum Hostel und endlich ins Bett.

 Anmerkung des Autors:
Wahrscheinlich waren die Rahmenbedingungen unserer Ankunft weit weniger dramatisch wie hier geschildert, aber unter der dumpfen Wahrnehmung eines vom Flug malträtierten Verstandes kann besonders zu dieser Uhrzeit eine Diskrepanz zwischen Realität und Emotionalität auftreten.

Wir werden von einem Stadtrundgang – angefangen bei der Bethlemi Kirche zur Statue Mutter von Georgien, die hoch über der Stadt thront, und wieder zurück über die schönen touristischen Gassen von Tiflis zum Why not Hostel –äußerst positiv überrascht. Die Stadt ist sehr ansehnlich, auch aufgrund ihres Facettenreichtums. Über die georgische Küche haben wir im Vorfeld einiges gelesen, doch wer erst einmal in den Genuss von Aubergine mit Walnusscreme, Tomaten und Gurkensalaten, Khachapuri, Chinkali mit Fleisch, Käse oder Pilzfüllung, georgischen Sekt (besonders Teliani Valley Brut) und Wein gekommen ist, wird aus dem schwärmen nicht mehr herauskommen. Neben vielen tollen Fleischgerichten finden aber auch Vegetarier ein vielfältiges Angebot an empfehlenswerten traditionellen Gerichten. Wer in der Stadt mit tieferen Einblicken zu politischen, wirtschaftlichen und geschichtlichen Hintergründen „rumkommen“ möchte, dem sei eine „free walking Tour“ nahegelegt. (https://www.freetour.com/tbilisi/tbilisi-free-walking-tour)

 Eine fantastische Stadt, die absolut sehenswert ist.


18. August – Aufbruch zum Kazbek

Nachdem wir endlich die wichtigen Ausrüstungsgegenstände für unsere geplante Tour – die Besteigung des Kazbek – von allem überflüssigen Material getrennt haben, begeben wir uns an den Freedom Square, um von hier mit der Metro nach Dadubi zu fahren. Die Fahrt kostet für vier Personen nicht einmal zwei georgische Lari. Wir zahlen für einen privaten Transport nach Stepanzminda 50 GEL.

Vom Ortskern bis zu unserem ersten Camp sind 500 hm zu überwinden, für die wir 1,5 h benötigen. In der Dämmerung schlagen wir unser Lager neben dem großen Parkplatz westlich der berühmten Gergetier Dreifaltigkeitskirche, wo sich an einem Brunnen eine Trinkwasserquelle befindet, auf. Die Sterne schälen sich aus dem pechschwarzen Äther des Himmels und unser Tourenziel, der Kazbek 5.033 m, legt das Wolkenkäppchen, unter dem er sich den ganzen Tag schüchtern versteckt hat, ab. Formschöner kann ein Berg wohl kaum sein. Sein weißes Antlitz erstrahlt im Mondschein, der die Nacht fast taghell belichtet. Wer die frei umherlaufenden Pferde scheut, sollte sein Camp nicht mitten auf der Wiesenfläche errichten. Die neugierigen und hungrigen Tiere treten oft ungewünscht nahe an Proviant und Zelt heran.


19. August – von Camp 1 zum Camp 2

Nach entspannten Frühstück und einer ausgiebigen Besichtigung der Gergeti Kirche machen wir uns auf den Weg zu Camp 2. Insgesamt müssen dazu 850 hm – um den Arsha Pass 2.940 m zu überwinden – zurückgelegt werden. Mit den schweren Rucksäcken, die je nach individuellen Bedürfnissen an die 30 kg wiegen können, müssen mehrere Stunden eingerechnet werden. Das Gepäck sollte trotzdem so leicht wie irgend möglich gehalten werden. Drei Stunden reine Gehzeit benötigten wir dazu, wobei wir einige schwer bepackte Bergsteiger überholten. Der Lagerplatz von Camp 2 befindet sich auf ca. 3.000 m. Hier lässt es sich ausspannen zumal das Ziel beständig im Blick ist und die Vorfreude auf die bevorstehende Begehung wächst.


20. August – von Camp 2 zum Camp 3

In allmählich einsetzender Routine packen wir unsere Rucksäcke und wir setzen unseren Aufstieg Richtung Camp 3 fort. Wir steigen über Moränen-Gelände – einige Bäche überquerend – auf den Gergeti Gletscher. Über den Gletscher, zuerst steil, dann abflachend, geht es technisch leicht zur Talsohle des Kazbek Auftieges. Doch die insgesamt 800 hm kosten ihren Schweiß und nach der sich ziehenden Gletscherüberquerung müssen zwei weitere kurze Steilpassagen – vom Gletscher zur Meteostation und von der Meteostation zum Wihite Cross 3820 m – gebuckelt werden. Allen fällt das Schnaufen auf dieser Höhe merklich schwer. Ein Zeichen das uns signalisiert wir sind zwar in Gipfel nähe, aber noch lange nicht akklimatisiert. Bedenklich stimmen uns zudem die kursierenden Gerüchte, dass das Wetter noch genau einen Tag halten. Wir sind nicht an die Höhe angepasst, entscheiden uns aber trotzdem einstimmig das Risiko es nicht auf den Gipfel zu schaffen einzugehen und bereits am Folgetag, ohne weiterer Akklimatisation, einen Gipfelversuch zu starten. Ganz nach dem Motto besser nicht akklimatisiert den Gipfel versucht und womöglich umgekehrt, als akklimatisiert den Gipfel wegen schlechten Wetters gar nicht erst probieren zu können.


21. August – Gipfeltag Kazbek

Um 3.00 Uhr klingelt der Wecker und wir machen uns bereit. Die Nacht war nicht nur wegen des frühen Starts kurz. Vor Anspannung und Unruhe war ein Tiefschlaf ohnehin nicht möglich. Obwohl wir nicht gut akklimatisiert sind und Christina angeschlagen ist kommen wir gut voran. Im Übergang von Moräne zu Gletscher befinden sich einige Spalten, die aber gut zu erkennen sind, sodass wir, wie die meisten Anderen, darauf verzichten uns anzuseilen. Insgesamt ist der Gletscher gut eingeschneit und einfach zu begehen. Über die Bergrückseite gelangen wir in Gipfelnähe und bereits von hier sind die zwei letzten Aufschwünge gut zu erkennen. Endlich kriecht die Sonne über die östliche Bergkante vor uns und wärmt unsere klammen Glieder. Für den letzten Aufschwung legen wir Steigeisen an und bewältigen mit Pickelunterstützung die letzten Meter zum 5033m hohen Kazbekgipfel. Der Abstieg verläuft entlang der Aufstiegsroute und schnell befinden wir uns in Moränennähe. Durch die Erwärmung stürzen pausenlos kleine bis mittelgroße Felsblöcke aus der ausapernden nach Westen gerichteten Flanke des Gletschers. Wir passieren in einem respektvollen Bogen die einschüchternden Naturgewalten und befinden uns schon bald auf der Moräne. Gegen Ende des Abstieges wird es immer deutlicher, dass wir völlig platt und am Ende sind. Mit Kopfschmerzen und körperlich völlig ausgelaugt schleppen wir uns ins Camp. Das Gefühl, gar nicht zu wissen welches Bedürfnis zuerst befriedigt werden soll, ruft die Glückseligkeit der Erschöpfung hervor. Schlafen, Trinken und Essen und am besten alles zur gleichen Zeit...


22. August – Ortsveri Nord-Ostwand

0:00 Uhr, wie in jeder Nacht – zumindest seit Beginn der Tour – wache ich pünktlich um Mitternacht auf. Mir ist heiß, als hätte ich Fieber. Mein Körper arbeitet auf Hochtouren, um die Defizite des Vortages auszugleichen. Zweifel kommen auf, ob die Ortsveri Nordostwand in ein paar Stunden angegangen werden kann. Dämmrig schlafe ich weiter.

4:30 Uhr, wir machen uns fertig und marschieren los, denn das Wetter scheint zu halten und mir geht es einigermaßen. Den Übergang zum Gletscher finden wir, dank der Erkundung am Vortag beim Abstieg vom Kazbek problemlos. Bald legen wir Steigeisen und Gurt an und sind schnell am Wandfuß angekommen. Die so jungfräulich dreinblickende Wand weißt bei genauerer Betrachtung doch zumindest Spuren einer Begehung. Die über den Horizont schleichende Sonne bescheint die NO-Wand mit weichem roten Morgenlicht. Zeitgleich mit dem Sonnenaufgang verschwindet der zuerst voll und schwer über dem Ortsverigipfel prangende Mond nach und nach. Mein Grinsen spiegelt sich in dem von Markus wider und es besteht kein Zweifel, keiner von uns Beiden könnte sich einen Ort vorstellen an dem wir lieber wären oder eine Zeit dieser Welt, die uns mehr gelockt hätte. Wir waren da, Bewusst im Moment, haben das Bild in uns aufgesogen, ein Zwinkern der Erdgeschichte, welches sich mit einem Atemzug in unsere Erinnerung hell glühend brennt.

Die Zweifel der Nacht sind der Vorfreude des anbrechenden Tages gewichen. Euphorisch klettern wir los. Wie vermutet, ist das Eis weich. Mühelos dringen unsere Eisgeräte in das weiße Fleisch des Berges. Nach der ersten steilen und anstrengenden Passage von 100 hm legt sich das Gelände Richtung Gipfel zurück. Bei derart guten Bedingungen können wir auf Seilsicherung verzichten und obschon wir wegen des anstrengendes Anstieges vom Vortag einige Pausen einlegen kommen wir schnell voran.

Nach 1h 20 min stehen wir nach den letzten Metern, die wir im Stil eines Ueli Steck in Slow Motion zurückgelegt hatten, am Gipfel. Vis-a-vis dem Kazbek genießen wir den Rundblick vom 4350 m hohen Ortsveri.

Der Abstieg verläuft unschwer über den West Grat hinunter zu einem Pass. Weiter folgen wir den Spuren, den Gletscher querend, dann die Moräne passierend zurück zu unserem Camp.

Am selben Tag steigen wir über die Meteo-Station ins tiefer gelegene Lager ab. Früh greift die Hand des erholsamen Schlafes nach unseren müden Gliedern und legt die Glückseligkeit eines weiteren perfekten Tages in Georgien frei.


23. August – Abstieg und Rückfahrt

Wider die Gerüchte hält das Wetter auch heute noch und ohne Zeitdruck schälen wir uns aus den Schlafsäcken. Erst gegen Mittag steigen wir nach Stpanzminda ab. Am Nachmittag nehmen wir ein Taxi zurück nach Tiblis, das 60 GEL kostet.

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