Winkelkar Tombola - Des Kaisers neue Latschen
Aufbruch.
What’s next? Wieder das Eggersgrinn hoch und versuchen eine Abseilstelle für’s „Grande Canale“ einzurichten, hm..., oder doch einmal wo anders hin und ins Winkelkar schauen? Naja, wo anders hin ist vielleicht etwas übertrieben, schließlich handelt es sich de facto nur um 2 km Luftlinie weiter östlich. Die beiden Linien, die uns dort vorschweben, haben wir zwar letzten Samstag vom Gipfel der Pyramidenspitze gesehen, wir wissen aber nicht genau was uns dort en Detail erwartet. Führt die Südwand der Jovenspitze durchgehend im Schnee, besonders auch in der Rinne, wo der Klettersteig vom Winkelkar auf die Pyramidenspitze beginnt, ins Kar hinab? Seitenwechsel: Wie viel Schnee liegt tatsächlich im problematischen Übergang vom unteren Schneerampensystem zum oberen Schneefeld in der Großen Rosskaiser Nordwand und können wir die Wand mit Ski befahren?
Das schreit nach Abenteuer und die Tombola mit den Hauptgewinnen Jovenspitze im Firn und Rosskaiser im Pulver ist eröffnet.
8.00 Uhr, Parkplatz – Set up.
Skiwahl: Leicht oder schwer? Wie fast immer fällt die Wahl auf schwer – 100Eight mit KingPin.
1 Einfachseil 60 m, Gurt, 1 Pickel, 1 Eisgerät, Steigeisen, Keile, Friends: C3 #1, X4 #.3, C4 #0.5 und #1
jeder: 5 Karabiner, 1 ATC Guide, 2 Schnapper, 1 Exe, 1 Kevlar Standplatzschlinge 3 m, 2 120er Bandschlingen, 1 60er Bandschlinge, Kurzprusik, empfehlenswert Grundsortiment Haken, Hammer, Escaper, Reepschnüre zum Einrichten von Abseilstellen, Messer.
Erstes Los. Jovenspitze 1892 m.
Schwerer als auf normaler Skitour bepackt schwitzen wir entlang der gut ausgetreten, zum Teil vierspurigen, autobahnartigen Aufstiegsspur ins Winkelkar. Die letzten Schneefälle sind sichtlich lange her. Hingegen der Nordwand des gr. Rosskaisers, die wir während des Aufstieges immer wieder intensiv beäugen, kommt das Fragezeichen, der ungewisse Übergang vom Winkelkar in die Südwand der Jovenspitze, erst ganz zuletzt ins Bild, dort wo die eigentliche Winkelkar-Skitour endet. Jep, in jedem Fall keine Niete – durchgängig Schnee. Seil und Klettermaterial deponieren wir, als die Skier auf den Rucksack kommen. Schnell gewinnen wir im gut zu stapfenden Schnee Höhe. An wenigen Stellen brechen wir etwas tiefer ein – die Sonne hat in dieser steilen Flanke schon richtig Kraft, was der außerordentliche Schweißfluss absolut bestätigt. Wir dampfen wie die Tanzbären beim Twisten. Das Timing scheint perfekt zu sein, zwar mühsam aber mit Stock-und Pickel-Unterstützung, erreichen wir wenig später den Gipfel – aaouhhh!
Vis-à-vis die Nordwand des gr. Rosskaisers – Linienstudie und beratschlagen.
11.00 Uhr Abfahrt – Hauptgewinn: In perfekten Firn ist die steile Flanke 45° fast schon Gelände zum Cruisen. Wer hier passende Bedingungen hat, das nötige skifahrerische Können und etwas Kraftreserven mitbringt, kann sich als Extension des Winkelkars mit diesem wilden und einsamen Gipfel belohnen. Lieber früher als später dran sein und wenn nötig warten bis es auffirnt.
Nach der Abfahrt ist vor der Abfahrt und bei unserem weiteren Vorhaben ist eine Stärkung am Materialdepot obligatorisch. Jetzt schon ist es eine absolut gelungene Unternehmung. Alles was wir als Zugabe oben drauf bekommen wäre das getüpfelte „i“.
Ziehung. Zweites Los. Großer Rosskaiser 1971 m.
In ein paar wenigen Pulverschwüngen steuern wir direkt auf die gut studierte Aufstiegslinie zu. Das Schneerampensystem lässt sich bis zu Beginn der ersten Steilstufe noch einigermaßen in Spitzkehren meistern. Bald wechseln wir die Skier mit Steigeisen. Kann das wirklich sein? Was für eine geniale Schneedecke! Fürs Stapfen und Skifahren gibt es augenscheinlich keinen besseren Kompromiss als wir ihn heute vorfinden. Oberflächlich weich und pulvrig, aber so gut gesetzt, dass der gesetzte Fuß schnell stabil steht und auf festen Widerstand trifft. Dementsprechend zügig erklettern wir die Rampen bis zum steilen Felsaufschwung.
Beim Kletterquergang nach links wird die Schneeauflage deutlich weniger und die Steigeisen kratzen auf Fels oder Wiesengrund – Willkommen an der Schlüsselstelle. Der erhoffte Schneebalkon nach links ist weit weniger „balkonig“ und schneeig wie erhofft. Ganz schön ungemütlich, wenn nah hinter einem der flache Part jäh in einer Felswand endet, die bis auf den Grund des Winkelkars abfällt. Unsere ersehene Variante, die vermeintliche Lösung des Besteigungs- und Befahrungsproblems, entpuppt sich als verdammte Niete.
Früher als gedacht muss eine Entscheidung gefällt werden. Sichern und Klettern: Wie schwer wird es sein, mit Skiern am Rucksack, wie gut können wir den brüchig wirkenden Fels absichern? Für uns noch viel dramatischer: Wenn wir jetzt in einigen Seillängen über die Felsstufe klettern, wie kommen wir nachher wieder runter? Mit einem 60er Seil müssen wir im schlimmsten Fall vier bis fünfmal abseilen und jedes Mal einen Abseilstand einrichten?! Da wird’s mit unserem Material eng.
Abenteuer – volle Kraft voraus. Erstbegehung? Des Kaisers neue Latschen.
Volle Kraft voraus ist euphemistisch. Um ehrlich zu sein, lächerlich übertrieben, würde man sehen wie ich auf den ersten Klettermetern „voranwackle“, unsicher, unmotorisch, schlecht, würde man den Kopf in den Nacken werfen und lauthals Lachen.
1. SL, 20 m, III: Nach wenigen Metern, rechts ein Friend (C3 #1) schon geht es besser voran. Weitere fünf Meter Köpfl einfangen, weiterklettern. Insgesamt vielleicht 20 m höher und gefühlt eine halbe Ewigkeit später baue ich auf einem Absatz einen Stand: C4 #0.5, #1, Köpfl.
2. SL, 25 m, III: Ein Meter absteigen, etwas links und in gerader Linie die schmale Schneerinne empor, Köpfl zu Beginn als einzige Sicherung. Wenn es flacher wird, schräg nach links oben zu einem markanten Köpferl, dort Stand.
3. SL, 60 m, III: Schräg rechts über gestuftes Gelände nach oben, Köpferl. Den ersten steilen Aufschwung rechtshaltend überklettern. Danach schräg nach links Richtung Latschen und links um eine exponierte Felskante (bei uns keine Sicherungsmöglichkeit!). Kaum in Reichweite der Latschen, diese als Rettungsanker greifen und sich technisch unschön ins flache „murksen“. Über weitere Latschen gerade nach oben, etwa 15 – 20 m, und Stand an großen Latschenwurzen bauen.
Die Schlüsselstelle liegt hinter uns und der Weg ist frei zum Gipfel. Gestapfe, gestapfe und gestapfe. Jetzt reicht es dann. Die letzten Aufschwünge entweder direkt am Grat oder Südseitig vom Grat überwältigend, tauchen wir ins goldene Abendlicht. Jeder Gipfel ist eine besondere Ankunft. Eine Ankunft an besonderen Orten dieser Erde, die zugleich immer an besondere Orte in uns selbst führen. Eine Stimmung, der kein noch so episches Wort erhaben ist!
Erstbefahrung? Die letzte ungelöste Aufgabe.
Die ersten butterweichen Schwünge setzen wir im weichen Licht des hereinbrechenden Sonnenuntergangs. Es wird nicht unnötig getrödelt. Tief in uns drin ist uns doch ein wenig Bange, wie wir da wieder sicher runterkommen. Anfänglich „entspanntere“ Meter in der großen Wanne unterhalb des Gipfels werden vollends genossen. Der Lohn unserer Mühen und kaum zu steigerndes Skiglück. Wir queren entlang unserer Spuren immer Skiers left oberhalb der Latschen vorbei an unserer Aufstiegsroute. Nach einer Geländekante wird es ernsthafter. Geschätzt um oder stellenweise auch knapp über die 50° steile Schneeflanke führt zu einer felsigen Steilstufe, die führt zum Schneerampensystem über das wir gekommen sind und unter dem wartet wiederum gähnende Leere, die bis ins Winkelkar hinabreicht. Die Message ist klar: Antennen einstellen und senden.
Exponiert und konzentriert tasten wir uns an die Steilstufe heran – die Crux und das letzte ungelöste Problem. Wir suchen nach auffällige Köpfl an den wir unkompliziert abseilen können. Eins, ein Zweites, ein Drittes, doch jedes Mal näher dort, unbrauchbar oder zu riskant. Am rechten Ende (Skiers right), wo der Fels kompakter ist, schaut es gut aus, doch wie hinkommen? Vorsichtig wird mit dem Pickel ein T-Anker installiert. An dem gesichert das ausgesetzte Spezialmanöver durchführe – von Ski auf Steigeisen wechseln und Skier an Rucksack. Nur nichts runterfallen lassen! Sichtlich wohler, aber immer noch ungesichert, weil T-Anker ausgegraben um mit dem Pickel zu klettern, wird das anvisierte Köpfll erreicht. Good News: Wirkt massiv und gut hinterschnitten. Schnell ist es eingefangen und wir sind daran gesichert. Als Backup legen wir noch einen Keil den wir miteinbinden. Die Abseilstelle haben wir so belassen.
Zweiter Hauptgewinn: Ablassen und Gott sei Dank reicht der 30m-Abseiler genau über den fies steilen Bereich, als ob wir es vorher ausgemessen hätten. Das „Escapen“ bleibt mir also erspart, was mir in dieser Situation überhaupt nichts ausmacht. Der Rest ist schnell erzählt. Phänomenaler Schnee auf den Rampen und mit dem letzten Licht zurück zum Auto.
Tombolas wie diese.
Keine Nieten, nur Hauptgewinne. Heute hat alles gut geklappt. Euphorisch sitzen wir beim lang ersehnten Spezi – Heilung vor dem Ungewissen und neuen Abenteuern – vorerst zumindest.